Viele Expert:innen möchten endlich ihr Buch schreiben. Sie haben ein interessantes Thema, wertvolle Erkenntnisse oder eine geniale Methode entwickelt. Doch sie wissen nicht, wo und wie sie anfangen und die Struktur ihres Buches entwickeln können. Ich nenne diese Struktur die „Heldinnenreise“.
Die Heldinnenreise weicht von der linearen Heldenreise ab und folgt einer emotionalen Dramaturgie; mehr dazu in meinen Blogpost zu „Was ist die HeldInnenreise?“). Die Heldinnenreise ist eine integrative Perspektive, die du einnehmen kannst, egal ob du einen Roman, dein Expert:innenbuch für dein Biz, ein Fachbuch, deine Autobiographie oder deinen Blog schreibst. Die Heldinnenreise hilft dir, die Struktur deines Buches von (Held)innen heraus authentisch – und mit Leichtigkeit! – zu entwickeln, denn sobald du den Ausgangspunkt gefunden hast, wird sich dir deine Heldinnenreise wie von selbst offenbaren.
Tipp 1: Beginne dein Expertinnenbuch nicht am Anfang
Die Einleitung für dein Expert:innenbuch schreibst du immer am Schluss, denn sie fasst die Stationen zusammen, die du während des Schreibens erst noch durchläufst. Sei offen für den Prozess der Heldinnenreise, der deine Erfahrung in eine organische Struktur bringt. Dokumentiere deinen Schreibprozess. Führe ein Schreiblogbuch, in dem du regelmäßig reflektierst, worüber du geschrieben hast. Formuliere für dich selbst, warum du dieses Buch schreibst. Dein Warum ergibt sich aus dem Problem, das du entdeckt und gelöst hast. Das Thema Deines Buches ist die Expertise, die Du auf Deinem Weg erworben hast, die Struktur ergibt sich aus der Transformation, die du durchlaufen und erlebt hast. Mache kurze Notizen, wenn du einen Abschnitt, eine Seite, ein Kapitel vollendet hast. Nimm eine Meta-Perspektive ein: Worum ging es in diesem Kapitel? Welche „Figuren“ traten auf und was haben sie verhandelt? Was hast du erlebt, was hat dein Körper empfunden, dein Nervensystem gefühlt? Welches Problem hast du gelöst, welche Erkenntnis hast du gewonnen? Nimm die Position der Meta-Erzählerin-Persona ein und die wirst immer mehr Zusammenhänge erkennen.
Tipp 2: Deine Heldinnenreise braucht eine Erzählerin-Persona
Die Erzählerin-Persona ist die höhere Perspektive und Position, die du einnimmst, wenn du deine Geschichte erzählst. Deine Erzählerin-Persona hat die Transformation bereits durchlaufen. Sie ist dem Leser des Buches einen Schritt voraus und hat bereits die Meisterschaft erlangt, an der die Leser:innen teilhaben wollen. Wenn Du ein autobiographisches oder autofiktionales Buch schreibst ist es schwieriger, zwischen deiner Held:in und deiner Erzähler:in-Persona zu unterscheiden, da es sich scheinbar um dieselbe „Person“ handelt. Das ist ein Irrtum. Auch wenn Du ein Buch über dich selbst oder dein Leben schreibst, gibt es eine Distanz zwischen dir als Autorin und dir als Heldin, die einmal auf Reise ging. Die Distanz zwischen Deinem transformierten Ich und dem Ich, das auszog, um transformiert zu werden, ist bereits da. Fühle diese Distanz und halte sie. Meiner Erfahrung nach kannst du das Buch erst schreiben, wenn du diese Distanz etabliert hast. An diesem Punkt findest Du Deine Erzählerin-Persona.
Deine Erzählerin-Persona ist nicht mit deiner Persönlichkeit identisch. Aus ihrer Perspektive sind gewisse Erfahrungen relevant und andere dürfen ausgeklammert werden. Sieh durch ihre Augen auf deine Geschichte. Kill your darlings! Nicht jede Episode gehört in dein Buch. Manche dürfen gehen. Aber vor allem: welche Geschichten müssen unbedingt erzählt werden? Das sind deine „Leuchttürme“!
Tipp 3: Finde Deine Leuchtturm- und Katastrophen-Szenen
Du hast schon länger eine Szene im Kopf. Du möchtest sie unbedingt teilen, du freust dich schon darauf, sie festzuhalten. Du weißt zwar noch nicht, wo und wie diese Episode in dein Buch hereinpasst, aber du hast die Situation vor Augen, die Umgebung, ein besonderes Objekt, bestimmte Personen, was sie sagen, was sie machen und nicht machen. Das ist eine Leuchtturmszene. Eine Leuchtturmszene kann eine Schlüsselsituation mit einem Mentor sein, ein Erfolgsmoment des Durchbruchs, eine wundersame Begegnung, ein intensives sinnliches Erlebnis in der Natur oder mit einem anderen Menschen oder Tier. Vertraue in deinen starken Impuls, darüber schreiben zu wollen. Und öffne deine Sinne. Schreiben ist be-schreiben. Denke szenisch, sinnlich und konkret. Wie ein Drehbuchautor rahmst du deine Station und schilderst Schauplatz, Jahr, Jahres- und Tageszeit. Wähle einige Details, die den Ort charakterisieren: Die Umgebung, ein Gebäude, eine Naturerscheinung, ein magisches Phänomen, ein Objekt. Dann betritt die Szene und lasse die anderen Mitreisenden auftreten: Beschreibe, was deine Heldin gesehen, gehört, gerochen geschmeckt, empfunden, gespürt, gefühlt hat.
Die Katastrophen sind die Wendepunkte auf deiner Heldinnenreise und haben dich zur Heldin gemacht. Sie sind die Höhepunkte deines Buches, die Szenen, die deine Leser:innen nicht vergessen werden. In einer Katastrophen-Szene triffst du auf deine Antagonist:innen, setzt deine besonderen Fähigkeiten ein, mit denen du die anstehende Herausforderung meisterst. Notiere 3-5 Katastrophen, die dich zu der Expertin gemacht haben, die du heute bist. Katastrophen-Szenen handeln von Verlust, Kündigungen, Krankheit oder Unfall, Trennung oder Krise. Es können auch weniger „dramatische“ Ereignisse sein: Burn-out, Depression, Leere, Einsamkeit. Je weniger im Außen passiert, umso mehr geschieht im Innern. Die dunkle Nacht der Seele hält die wichtigsten Informationen für dich bereit. In den Katastrophen-Szenen zeigst du deine Verletzlichkeit, dein Menschsein. Für diese Szenen wirst du geliebt werden, weil sie am authentischsten und mutigsten sind.
Hast du deine Leuchtturm- und Katastrophen-Szenen identifiziert? Beschreibe die erste Szene, mit der du JETZT in Resonanz gehst. Stell dir vor, du würdest dich deiner besten Freundin anvertrauen.
Tipp 4: Identifiziere deine Archetyp:innen für die Heldinnenreise
Auf der Heldinnenreise triffst du auf verschiedene archetypische Figuren. Das sind die Menschen, die dich auf deinem Transformationsweg gefördert, herausgefordert, hereingelegt, begleitet, unterstützt, gespiegelt, gerettet, getröstet, motiviert haben. Du kannst alle wichtigen Menschen, die in deinem Buch eine Rolle spielen, den Archetyp:innen zuordnen. Welche Mentor:innen haben Dich geprägt? Wer waren deine Gegenspieler:innen? Was hat dich deine Antagonistin gelehrt.Welche Schwellenhüter:innen haben deine Intention und deinen Willen geprüft? Wer waren Deine Gefährt:innen? Gab es ein Kind, das dein inneres Kind spiegelte oder eine Mutter? Ist dir ein Trickster über den Weg gelaufen, der dir Steine in den Weg legte? War da eine Schattenfigur im Hintergrund, die deine Abgründe spiegelte und dein Worst Self triggerte? Möglicherweise gab es eine Animus / Anima, die deinen männlichen/weiblichen Aspekt verkörpert. Vielleicht gab es auch einen Sack, der sich an dich dranhängte und deine Energie anzapfte. Eine tolle Übersicht gibt Gunter Lösel in Das Archetypenspiel. Liste die Menschen auf, die zu deiner Heldinnenreise beigetragen haben, und gib ihnen ihre archetypische Funktion. Wenn das nicht oder nur mit Mühe geht, lass es offen. Der Archetypus offenbart sich vielleicht später oder die Person gehört nicht zu deiner Entourage.
Tipp 5: Skizziere die Stationen deiner Heldinnenreise
Reminder: Fang nicht am Anfang an! Sieh deine Notizen durch und schreib deine Leuchtturm- und Katastrophenszenen auf Indexkarten. Notiere die Archetyp:innen, die an den Szenen beteiligt waren. Reflektiere: Welche anderen Szenen fallen dir noch ein, die weder Leuchtturm noch Katastrophe waren. Wen hast du aufgesucht oder zufällig getroffen? Welche wichtigen Gespräche hast du geführt? Welche Wunder sind dir begegnet? (Du definierst selbst, was ein Wunder für dich ist 😉 Schreibe weitere Schauplätze und Situationen auf Indexkarten. Gib den neuen Szenen einen Namen: Heilungsmomente. Liebesszenen. Erkenntnisorte. Wunder. You name it. Ergänze beteiligte Personen, Objekte, Tiere, andere Details. Finde 10-15 Szenen. Zensiere Dich nicht, der Zusammenhang wird sich offenbaren. Jedes Bild, jedes Wort, jeder Klang, jede Empfindung und Wahrnehmung, die sich zeigt, ist wie ein Pilz, der einzeln aus dem Boden schießt, aber durch unzählige feine Fädchen mit einem riesigen unterirdischen Pilzgeflecht verbunden ist. Deine Heldinnenreise folgt den Fäden ins tieferliegende Mycel. Alles hängt zusammen.
Tipp 6: Schreib das erste Kapitel und folg deiner Heldin (egal, wohin sie läuft)
Das erste Kapitel beschreibt den Ort und die Zeit, wo sich die „Wunde“ deiner Heldin das erste Mal gezeigt hat. Das kann ein Mangel sein, ein Schmerz oder ein tiefer liegendes Problem, das in einem bestimmten Moment wieder aufbricht.
Mache einen emotionalen und körperlichen Check-in für deine Heldin:
- Wie hat sich das Problem körperlich geäußert? Welche Symptome haben sich gezeigt?
- Welche Gefühle waren dominant?
- Wie hat sich der Schmerz mental geäußert? Welche Gedanken kamen auf? Was war das Mindset deiner Heldin?
- Was war der Anlass für das Aufbrechen der Wunde? Was hat die Heldin „getriggert“?
Deine Heldinnenreise begann genau an diesem (Zeit)Punkt, als du fühltest: „Ich muss mein Leben ändern.“ Hier ist Deine Heldin am Start. Hier ist der entscheidende Schlüsselmoment, in dem die Heldin ihre gewohnte, vermeintlich sichere Umgebung / Familiensituation / Beziehung / Job / Heimat / Wohnung / Alltag plötzlich infragestellt.
Welchen „Ruf“ hat sie vernommen? Wie sah ihr Aufbruch aus? War er geplant oder überstürzt? Wem ist sie gefolgt, welcher Impuls hat sie fortgezogen? Kam er von außen oder innen? Wohin ist sie zuerst „gereist“? Und warum? Deine Heldin führt dich direkt zur nächsten Station. Vertraue ihrem Impuls.
Tipp 7: Besorg dir einen Liegestuhl und bleib liegen, bis du alle Fäden der Heldinnenreise verknüpft hast
Meinen Durchbruch zu meiner Heldinnenreise für meinen Roman erfuhr ich auf meinem Liegestuhl. Ja, ich hatte mir in Internet einen Liegestuhl bestellt, um auch halbliegend schreiben zu können. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass eine halbliegende Position entspannter für mich ist. Wenn ich müde werde, dann drücke ich die Lehne einfach runter und döse. An einem heißen Sommerwochenende in 2021 habe ich meine Heldinnenreise auf eben diesem Liegestuhl fertigentwickelt. Ich habe meine Indexkarten verschoben und verschiedene Handlungsabfolgen ausprobiert. Dann habe ich die Lehne runtergedrückt und mir die Szenen ausgemalt. Manchmal bin ich eingenickt und nach dem Aufwachen habe ich ganz schnell eine Seite runtergeschrieben. Ich habe Leerstellen ausfindig gemacht und Übergänge formuliert. Manche glichen eher wackligen Brücken über reißenden Strömen, aber sie hielten und verbanden zwei Fadenenden.
Die Zusammenhänge dürfen an dünnen Fäden hängen, wichtig ist, dass wir als Autor:innen nicht lockerlassen und den Ariadne-Faden immer weiterlaufen lassen. Wenn wir uns auf die Heldinnenreise einlassen, die Katastrophen nicht scheuen und die Leuchttürme immer wiederfinden, werden wir am Ende des Schreibprozesses ankommen und Heldinnen unseres Expertinnenbuches sein.
Übrigens: es muss kein Liegestuhl sein. Jeder andere Happy Place tut es auch. Hauptsache, du kannst in aller Ruhe Fäden spinnen.
Liebe Christine mit Spannung und Interesse habe ich deinen Blogartikel gelesen. Das ist genau das, was ich brauche, eine gute Anleitung für meine Texte.
Herzlichen Dank dafür.
Ich werde öfter mal vorbeischauen und auf deinem Blog schmökern.
Herzliche Grüße von Anita. ❤️♀️
Liebe Anita, ich freue mich sehr, dass ich Dir gute Tipps geben kann, die du verwenden kannst. Super! Und ja, komm gern wieder vorbei, ich habe ja erst angefangen und werde regelmäßig Schreibtipps veröffentlichen. Wenn Du magst, schreib mir gern, was Dich interessiert und welche Tipps hilfreich für dich wären. Herzlichen Gruß!
Danke! Tolle Anregungen fürs Buch schreiben.
Liebe Sonja, danke für Dein Feedback, freut mich dass meine Tipps anregend waren! 🙂